Regensburg/Koblenz,
03. März 2006 (orv) - Deutsche Läufer/Innen
werden in internationalen Finals immer weniger gesichtet.
Das war in den letzten Jahrzehnten ganz anders.
Cross-DM-Organisator Kurt Ring führte mit dem
ehemaligen DLV-Teamleiter Lauf Lothar Hirsch, der
diese erfolgreiche Aera mitbestimmt hat, ein Gespräch.
Ring:
Welchen Stellenwert hat bei Ihnen der Crosslauf
bei der läuferischen Leistungsentwicklung?
Lothar
Hirsch: Die Hochzeit des deutschen Langstreckenlaufes
in den siebziger/achtziger Jahren mit Hildenbrand,
Uhlemann, Orthmann, Fleschen, Zimmermann oder Herle
hatte einen wesentlichen Grund, den Crosslauf. All
diese Athleten haben bei der Cross-Weltmeisterschaft
(WM) sowohl im Einzel- wie im Mannschaftswettbewerb
erfolgreich ihren Mann gestanden. Hier haben sie
sich jene physischen und psychischen Qualitäten
geholt, die einen erfolgreiche Langstreckler auf
der Bahn auszeichnen. Neben hohen Anforderungen
im aeroben-, anaeroben - und Kraftausdauerbereich.
Durch schwieriges Gelände auf schwerem Boden
werden vor allem jene spezifischen Charakter- und
Willenseigenschaften wie Kampfgeist, Mut, Risikobereitschaft
oder Beharrlichkeit geprägt, die auf der Bahn
den erfolgreichen vom weniger erfolgreichen Athleten
unterscheiden. Das dies nach wie vor Gültigkeit
besitzt, zeigen die afrikanischen Läufer, die
alljährlich die Cross-WM dominieren. Der Crosslauf
besitzt aus meiner Sicht eine große Bedeutung
für die läuferische Entwicklung.
Ring:
In den 70iger Jahren stellte der DLV mit Orthmann
und Uhlemann Medaillengewinner bei Cross-WM's. Sehen
Sie für deutsche Läufer/Innen angesichts
der immer größer werdenden Stärke
der afrikanischen Läufer/Innen noch jemals
Chancen, solche Erfolge wiederholen zu können?
Hirsch:
Bei der Cross-WM 1985 in Lissabon belegte Ch. Herle
als letzter dieser Crossära trotz aller Afrikaner
einen hervorragenden 7. Platz mit einem dann folgenden
Leistungsbild auf Bahn und Straße von 3:40.2
min(1500 m) 7:42.07 min (3000 m) über 13:19.25
min und 27:50.27 min (5000/10.000 m)und als Krönung,
ein dritter Platz beim London Marathon in 2:09:23
Std. Einen Athleten solcher Größenordnung
sehe ich derzeit nicht.
Ring:
Detlef Uhlemann, der derzeitige Bundestrainer Langstrecke
hat sich die Entsendung kompletter deutscher Mannschaften
zur Cross-WM als Ziel gesteckt. Wie stehen dazu
die Chancen angesichts der sehr speziellen Saisonplanungen
der besten deutschen Läufer/Innen?
Hirsch:
Ich bezweifle, ob es derzeit Sinn macht, komplette
Mannschaften zur Cross-WM zu schicken. Der Motivationseffekt
der Teilnahme wird erschlagen durch den destruktiven
Erlebnis- und Ergebniseffekt. Die Forderung bezogen
auf die Cross-Europameisterschaft halte ich für
sinnvoller und langfristig motivierender.
Ring: Skilangläufer, Biathleten
und auch der Eisschnelllauf glänzte bei den
Olympischen Spielen mit einem Medaillenregen. Viele
Experten führen dies auf die zentrale Steuerung
der jeweiligen Nationalkader durch den Bundestrainer
zurück. Die stärksten Athleten/Innen trainieren
unter professionellen Gesichtspunkten in wenigen
Stützpunkten miteinander. Halten Sie das auch
im deutschen Lauf für erfolgsversprechend?
Hirsch:
Gestatten sie mir zu Beginn als Bemerkung ein Zitat
von C. Pechsteins Heimtrainer Joachim Franke nach
den Spielen von Turin zur Situation im Eisschnelllauf:
" Die Männer befinden sich schon länger
am Boden, die Frauen in starkem Sinkflug".
Die Zeit ist schnelllebig und der Eisschnelllauf
könnte dann, in Anlehnung der Aussage des Insiders
J. Franke, schon nicht mehr als Beispiel gelten.
Ohne die Leistungen der genannten drei Sportarten
schmälern zu wollen, sie sind aus meiner Sicht
nicht vergleichbar mit der internationalen Leistungsdichte
in der Leichtathletik und vor allem auch im Lauf.
Die genannten Sportarten haben weniger die zentrale
Steuerung durch den Bundestrainer, sondern eine
Konzentration auf wenige Stützpunkte mit eigenen
Trainern und differenzierten Konzepten. Der Bundestrainer
übernimmt lediglich die Koordinierung der Leistungsentwicklung
der verschiedenen Stützpunkte. Die genannten
Sportarten haben es in der organisatorischen Umsetzung
eines solchen Konzeptes insofern einfacher, weil
die Athleten aufgrund der technischen Notwendigkeiten
dieser Sportarten gezwungen sind, dort zu trainieren.
Die zentrale Steuerung und Kontrolle in einem solchen
System ist sicherlich effektiver. Die Vereine, anders
als in der Leichtathletik, spielen keine entscheidende
Rolle. Aber eines sollte man bei allen Struktur-
und Organisationsdiskussionen nicht vergessen, Weltklasseathleten
sind und bleiben Individualisten mit herausragenden
Eigenschaften auf allen Ebenen. Wenn wir diesen
Athletentyp nicht finden oder haben, nützen
die perfektesten Systeme nichts. Der Eisschnelllauf
wird dies bald bestätigen.
Ring:
Wie viel Erfolgsaussichten geben Sie einem neuen
System, auch vom ehemaligen DLV-Präsidenten
Professor Digel favorisiert, alle "Macht"
den Heimsystemen zukommen zulassen und als Bundestrainer
nur noch koordinierend zu arbeiten?
Hirsch:
Eine solche Konstellation in effektiver Auswirkung
wird stark abhängig sein von der Qualität
der/s Heimtrainers sowie der Vereine. Im Rahmen
meiner langjährigen Tätigkeit beim DLV
mit vielen "Richtungsänderungen"
habe ich auch diese Variante bereits erlebt. Strukturen
und Systeme kommen immer dann in die Diskussion,
wenn entweder die Leistung oder aber das Geld fehlen.
Es stellt sich ohnehin die Frage, ob im Rahmen der
voranschreitenden Kommerzialisierung der Hochleistungssport
in der jetzigen Verbandsanbindung noch entsprechend
aufgehoben ist.
Ring: Sehen Sie im deutschen Langstreckenbereich
Fortschritte seit den Athener Spielen und wenn ja,
welche?
Hirsch:
Als Langzeitdisziplin kann man nicht erwarten, dass
im Langstreckenlauf leistungsmäßig Schnellschüsse
passieren. deshalb muss man Geduld haben. Angesichts
der extremen Leistungssituation im Laufbereich durch
die Afrikaner und mittlerweile "Zweitstaatenafrikaner",
wird es ohnehin immer schwieriger, junge Menschen
für den Lauf zu gewinnen. Der europäische
Langstreckenlauf männlich, dies haben die Ergebnisse
der OS 2004 und vor allem der WM 2005 gezeigt, ist
international nicht mehr konkurrenzfähig. Wir
sollten in diesem Bereich unseren Blick europäisch
ausrichten, zum einen als realistische Motivation
für junge Menschen, zum anderen als Möglichkeit
des realistischen Leistungsvergleichs. In diesem
Sinne sehe ich einige Athletinnen und Athleten auf
einem guten Weg zur Europameisterschaft 2006.
Ring:
Danke für das Gespräch.
Fotos: Lothar Hirsch
<<
zurück